Mädchen aus gutem Hause          
    'Jetzt hört mal gut zu, Jungs. Der letzte Sommer war echt verdammt heiss. Das ist gar keine Frage. Sehr ihr? Hier! Die Schweissränder da an meinen Unterhemden. Seht ihr sie? Wie bitteschön, sollten diese gelben Schweissränder da sonst hingekommen sein, wenn der letzte Sommer nicht so verdammt heiss gewesen wäre? Er war heiss, der Sommer! So heiss, dass ich wie ein Schwein geschwitzt habe! Und nicht einmal die Waschmaschinen hier schaffen es, diese verfluchten Flecken talgiger Ausdünstung zu beseitigen. Na, wenn das mal kein heisser Sommer gewesen war.'

Sie erschrak mit hochgezogenen Schultern und spähte ängstlich in den Raum hinein, in dem sie selbst stand. Ausser ihr hielten sich hier noch vier Menschen auf, von denen drei in einer Zeitung lasen, und ein vierter mit geschlossenen Augen auf einer Bank kauerte. Niemand schaute auf und niemand schaute sie an, was sie mit Erleichterung und mit sich wieder herabsenkenden Schultern registrierte, bevor sie damit fortfuhr, die Wäschestücke umständlich auf dem schmalen Tisch zusammenzulegen.

Sie war ein Mädchen aus gutem Hause, das sich nichts aus schwerem Essen machte, nicht auf schwere Männer stand, und also allem Schwierigen im Leben lieber aus dem Weg ging. In die Stadt war sie genau vor einem Jahr gekommen. Und in den Waschladen ging sie, weil sie keine Waschmaschine zu sich in die Wohnung tragen konnte und natürlich auch keine schweren Männer kannte, die das für sie hätten tun können. Ihr Name war eher gewöhnlich. Nichts ausgefallenes. Und deshalb nannte sie sich anders. Aber die Schweissränder schwammen trotzdem grinsend an den Armausschnitten ihrer Unterhemden vor sich hin, und sahen, selbst wenn man sie nur flüchtig betrachtete, ziemlich übel aus. Natürlich war ihr das sehr peinlich. Peinlich und auch ganz und gar zuwider, so dass sie sich kaum mehr traute, die Hemden, die soeben warm aus dem Trockner vor ihr auf den Tisch gesprungen waren, in die Hand zu nehmen.
'Eklige Hemden. Ihr seid doch echte Schweine. Seht euch nur an, ihr ekligen Hemden. Wie ihr ausseht! Man möchte euch gar nicht anfassen - so sieht's aus.'

Sie war ein Mädchen, das das Schöne liebte. Auf blumigen Duftwiesen fühlte sie sich zu Hause. Auf duftenden Blumenwiesen, die zu einem Schloss gehörten, das sie mit einer Dienerschaft von 100 leichten Mann bewohnte. Kraftausdrücke benützte sie weder im Schloss, noch auf den duftig blumigen Wiesen. Nicht etwa, weil sie es sich versagte, sondern weil sie so etwas nicht kannte.

Wieder spürte sie den Krampf, der sich von den Schultern hoch in den Nacken zog. Sie schickte einen scheuen Blick aus, der prüfen sollte, ob sich die vier Menschen noch immer mit ihren Beschäftigungen beschäftigten, und musste bestürzt feststellen, dass sich zwei von ihnen erhoben hatten, und einer von ihnen bereits in ihre Richtung steuerte. Sie konnte plötzlich ihre Füsse riechen und spürte, wie es um ihren Mund herum ganz unwillkürlich zuckte.
'He, ich war das nicht. Ehrlich nicht. Keine Ahnung, wer es war. Ich auf jeden Fall nicht. Weil mir so etwas erst gar nicht in den Sinn käme.'

Mit einer fahrigen Bewegung raffte sie die Hemden auf dem Tisch zusammen. Die Blumen auf der Wiese rochen jetzt nach einem riesengrossen, faulen Ei, und ein kleiner, flauschiger Kater kam in ihr Bett gesprungen und urinierte auf den samtenen Flügel eines vorbeischwebenden Schmetterlings, der ihm daraufhin einen bösen Blick zuwarf und sich den Flügel an ihrem Kissen abwischte.
'Das sind übrigens nicht meine Hemden. Gehören mir nicht. Ich wasche sie nur für jemand anderen. Aber den kenne ich eigentlich nicht. Wohnt bei mir im Haus, du weisst schon, und hat mich gefragt, ob ich, wenn ich schon gehe...'

Der Blick trifft nur ganz kurz und entleert sich, weil es nur ganz kurz etwas zu treffen gibt, schnell wieder in den Raum hinein, in dem auch sie sich aufhält. Der eine von den vier anderen ist am Fenster stehen geblieben und der zweite an ihr vorbeigegangen. Irgendwohin gegangen. Kann sie nicht sehen, wohin.

Im Schloss hat jemand seine Schuhe ausgezogen, weshalb es der Dienerschaft schwer fällt, nett zu sein. Sie überlegt sich, was sie tun könnte, um die Stimmung wieder aufzubessern, aber ein Hemd hat sich vom Tisch auf den Boden gestürzt.
'Arschloch! Das muss ja jetzt echt nicht sein. Dumme Sacknase - hier hast du's.'

Sie zerrt und reisst, wickelt das Hemd um einen Fuss des Tisches, um noch besser daran zerren und reissen zu können, und stemmt sich mit einem Bein gegen das Tischbein. Dem Hemd will sie es zeigen. Der Waschgang hat sechs Mark gekostet und das Trocknen noch einmal die Hälfte.

Von den Gängen strömt die Dienerschaft herein. Hundert Mann, die sich alle schwer auf sie werfen. Die Blumen sind ans Fenster geeilt und schauen neugierig der Keilerei zu, die sich mit leidenschaftlicher Vehemenz unter der fürs Abendessen bereits gedeckten Tafel ins Zeug legt. Die fein geschliffenen Gläser beginnen in klirrender Panik zwischen dem Silberbesteck umherzuhüpfen, das sich seinerseits ein ärgerliches Blitzen nicht verkneifen kann. Und irgendwann, das heisst, nicht irgendwann, sondern in dem Augenblick, da es dem Silberbesteck endgültig zu doof wird, bereitet es der Szene, ein paar Mal fluchend zustechend, endlich ein Ende. Mit fünf Socken, zweihundertzweiundzwanzig Unterhosen und einem schweissgeränderten Hemd verlässt sie den Waschladen, fest dazu entschlossen, dem nächsten Schmetterling, der einen unangenehm kalten Luftzug verursacht, einen ordentlichen Tritt zu verpassen.