Die Metaebenenfabrik          
    es war das wichtigste, ein gefühl herzustellen, ein gefühl für etwas, das es noch nicht gab, das noch erschaffen werden musste, ein gefühl für das noch zu erschaffende und den prozess des erschaffens, lange bevor der prozess begonnen hatte. ein gefühl, was noch zu tun ist, das noch erschaffen werden musste, zu diesem zeitpunkt.

Günther verstand nicht wirklich, was er tat. Dabei arbeitete er hier seit sieben Jahren und man hatte es ihm schon oft gesagt. Natürlich jeder auf seine Art. Der Vorarbeiter, der Betriebsrat, Helmut, Martin und Kurt, die Kollegen, mit denen er dienstags immer Kegeln ging. Jeden Dienstag. Seit sieben Jahren. Sogar Gerda, die Putzfrau, die drei Mal die Woche die Umkleideräume putzte, hatte schon versucht, es ihm zu erklären. Er verstand es einfach nicht.

Günther wusste, dass er ein guter Arbeiter war. Die Plexiglasartigen, milchig durchscheinenden Platten, die er abmass, zusägte und wieder aufs Förderband legte, hatten auf den hunderstel Millimeter genau die geforderte Länge, wenn er sie aus der Hand gab. Er liess sich auch nicht ablenken, wie es die anderen manchmal taten.

Nein, während der Arbeitszeit war er Arbeiter und sonst nichts. Nur so wurde das, was man machte, auch gut.

Einmal hatte ihn der Vorarbeiter in Abteilung 1 aushelfen lassen, weil dort zu viele krank waren. Er musste eine tiefrote Flüssigkeit aus grossen Kesseln, die wie riesige Kochtöpfe aussahen, in Eimer füllen. In jeden Eimer die gleiche Menge. Manche Kollegen nannten diese Abteilung die Dröhn-Halle. Aber es war leise dort. Nur abends hatte er Kopfweh, schlief aber immer schon auf dem Sofa ein und hatte Träume, die er nicht verstand. Manchmal träumte er auch nach dem Kegeln.

Nach drei Tagen in Abteilung 1 hielt er die Flüssigkeit für Rotwein, aber der Abteilungsleiter sagte ihm, das dies die Prozesseinleitungsmischung G sei, G wie Gefühl.

Vielleicht wurde Günther am nächsten Tag wieder in seine Abteilung zurückgeschickt, weil er sagte, dass das einzige Gefühl, das er davon habe, Kopfweh sei. Vielleicht kamen aber auch nur die Kranken wieder zurück. Er war auch froh, wieder bei seinen Platten zu sein. Er wusste, was zu tun war und er kannte seine Platten. Nicht, dass sie alle gleich waren. Jede war anders und eigen. Aber er konnte ihre Eigenarten erkennen, wenn er sie anschaute oder versuchte, durch sie hindurch zu sehen. Das war wichtig für das Zusägen, denn jede hatte auch ihr eigenes Mass.

Manchmal überlegte er kurz, während er durch die milchige Platte in den hinteren Teil des Gebäudes schaute, was da wohl drin stecke. In diesen Momenten sah er das Gebäude wie er es sah, wenn er von ihm träumte. Nach dem Kegeln.

Mittwochs beim Frühstück sah Günther die Bilder der Träume durch den Dampf seines Kaffees. Natürlich nur wenn er geträumt hatte. Für einen kurzen Moment war ihm, als wenn er etwas tun müsse. Jetzt sofort. Er wusste nicht was und nach dem Frühstück wusste er nur noch, dass er zur Arbeit musste.

Ein Lagerarbeiter, mit dem er sich ab und zu beim Umkleiden unterhielt, sprach oft von Kaffeetrinken und Träumen und dass er die Platten, die Günther zugesägt hatte, in Kartons verpacke. Sie waren dann numeriert und wurden Ebenen genannt. Er sagte auch meistens, dass er sehr klar durch die Platten sehen könne und dass Träume darin seien, die man beim Kaffeetrinken finden könne, und dann müsse man das tun, was wichtig sei. Günther verstand nicht, was er damit meinte, aber er sah einmal sein Gesicht im Kaffeedampf. Und es sah sehr würdig aus, dort im Dampf.

Günther wunderte sich noch darüber, dass ihm würdig zum Gesicht des Lagerarbeiters im Kaffeedampf einfiel. Er hatte dieses Wort wohl schon gehört, aber noch nie benutzt. Zum Wurstbrötchen fiel ihm dann Wirklichkeit ein. Den Lagerarbeiter sah er nie wieder.

Er wunderte sich noch ein wenig mehr, als er auf dem Weg zur Arbeit dachte, dass nichts wirklich wichtig sei und nichts würdevoll genug, es wirklich zu tun. Aber dann dachte er im selben Moment an seine Arbeit, an Kaffeedampf und Wurstbrötchen und vergass, woran er überhaupt gedacht hatte.