work in progress...          
    Und es gibt so viele Möglichkeiten und alles passiert zur selben Zeit. Am Alex kann man in die S-Bahn steigen und in 10 Minuten ist man am Zoo, sagt man. Nur 10 Minuten. Als sei die Zeitspanne die entscheidende Variable und nicht ob man in die S-Bahn steigt. Als könne man auch 10 Minuten an der Bahnsteigkante verharren um sich nach 10 Minuten am Bahnhof Zoo wiederzufinden. 10 Minuten zum Zoo. Das zu wissen ist schon einiges. Der durchschnittliche Mensch auf der Strasse weiss ja noch nicht einmal ob Australien eine Stadt ist oder ein Kontinent. Das wissen ist nicht falsch. Falsch ist vielmehr das Nichtreagieren darauf. Das Verharren an der Bahnsteigkante. Diese Entscheidung treffen zu können ist ein Privileg des 20. Jahrhunderts. Genauso wie die seltsam verschlungenen Knäuel aus Wolle und Filz, die manche Menschen in ihren Träumen sehen. Das Individuum hat sich freigestrampelt. 200 Jahre hat es gebraucht bis an die Oberfläche. In der Tiefsee, wo es dunkel ist und still, gibt es Fische ohne Augen. Sie sind es gewöhnt, unter so grossem Druck zu leben, dass sie, holt man sie hinauf an das Licht, explodieren.

Die Existenz ohne Kontext ist verurteilt zum Heute. Kein Ausbruch, keine Verzweiflung, kein Traum. Als verlaufe das Leben nicht linear, sondern türme sich auf. Als lebe man nicht einen Tag nach dem anderen, sondern immer denselben Tag und alle Tage zugleich.

Einer reicht aus. So viele Entscheidungen. Und dann der Lärm: beim Aufwachen fängt es schon an. Die Augen noch geschlossen, kann man den Körper inkl. aller Gliedmassen schon spüren. Und man hört die anderen Körper. Menschen kacken und pissen in gefliessten Zellen. Stopfen Essen in sich rein. Und die Kacke und Pisse von Kleintieren, Kanarienvögel, Meerschweinchen oder Katzen wird in den Hof getragen in die Tonne. Und bleiche Kinder mit blauen Malen unter ihrer Kleidung treten gegen die Tonne. Und Menschen schreien Tiere und Kinder an und überall fahren Autos herum. Busse, Lastwagen, Dtrassenbahnen, Züge. In 2 oder 3 Stunden können sie in Bitterfeld, Leipzig, Halle/Saale sein oder immer noch an derselben Stelle.

Am Alex fährt der Zug ein. Und kurz vorher spürt man ihn schon und wartet. Und es ist, als käme nicht der Zug aus dem Tunnel, sondern als müsste man selbst in den Tunnel hinein. Manchmal dauert dieser Moment sehr lange und es ist still. Es ist eine Stille, die es nur in der Dunkelheit gibt. Nur in einer grossen Stadt, wenn alle Menschen in ihren Häusern schlafen.

Nach dem Lärm kommt der Schmutz. Sobald man die Augen Aufschlägt ist er da. Der Schmutz kriecht aus allen Ecken hervor, frisst sich in die Netzthaut, klebt an den Sohlen, setzt sich fest im Gewebe, verstopft die Poren. Schmutz verunreinigt das Trottoir und muss beseitigt werden.

Im Alex Zwischengeschoss feiern die Bahnbullen eine Party. Stehen rum, lachen, mit ihren blöden Uniformen und ihren beschissenen Schnauzbärten und ihren beknackten Fressen. Die Frauen tragen Pferdeschwänze in blond unter ihren Kappen. Da stehen sie also und haben Hunde, die so gross sind wie Plattenbauten und 3mal so hässlich. Du denkst also, dass du sehr clever bist, weil du weisst, dass alle Bullen faschistische Schweine sind. Du denkst also, du bist sehr clever, aber plötzlich wendet sich dein Glück. Vom Maulkorb befreit, verbeisst sich das Vieh in deiner Wade. Ein ansehnlicher Klumpen Fleisch hat seinen angestammten Platz verlassen und rutscht Richtung Knöchel. In den Plastikfäden der Strumpfhose, die das Individuum trägt, verheddert sich das Vieh und das Fleisch bleibt hängen. Eine Riesensauerei und das kommt davon. Die Krankenschwester in der Notaufnahme trägt die gleiche Marke unter ihrem Kittel. Vorher kommt noch der Krankenwagen, aber die Telephone funktionieren nicht immer. Die Telephone, die in der U-Bahn stehen oder an den Strassenecken. Stehen da wie Placebos oder als könnten sie zwar funktionieren, nur nicht in deinem speziellen Fall. Hast du schon mal versucht dir selbst einen Krankenwagen zu rufen. Du blutest alles voll und die Leute schauen dich an, als seist du verrückt geworden. Genauso wie die Schwester, der, rein theoretisch, das gleiche passieren könnte mit ihrer Strumpfhose, aber es nützt nichts. Das Bein ist hin und entlockt den Juroren bei der Wahl zur Miss World nur ein müdes lächeln.

Besser ist es also an der Bahnsteigkante stehenzubleiben. Und die Züge vorbeifahren zu sehen und genausogut könnte es nur ein einziger Zug sein und genausogut könnte man in jeden beliebigen Zug einsteigen und durch die Scheibe nach aussen blicken.