Ich habe zu Lorna gesagt, dass ich nicht mehr an das Aufzugfahren glaube          
   
Die Tage, an denen ich mit Lorna nichts anfangen konnte, häuften sich. An solchen Tagen halte ich den Blick unlustig auf die spiralförmige Musterung meines Teppichs gerichtet, lausche auf meine Eingeweide und kann dort in einem dünnen Hustgeräusch einen gelben Zug rangieren hören. Vielleicht aber war das, was ich mit Lorna erlebte, auch mehr als Langeweile, Einerlei, Eintönigkeit, Fadheit, Öde, Monotonie, Alltäglichkeit, Mangel an Abwechslung, innere Leere, Trostlosigkeit, Überdruss, Tristesse, Stumpfsinn, Reiz- und Spannungs- und Schwung- und Temperamentlosigkeit. Denn immer wenn Lorna und ich unsere Blicke in ein Abteil des Zuges meiner Eingeweide setzten, dann dauerte es nie sehr lange, bis die beiden Blicke ins Gespräch kamen, und wir, Lorna und ich, uns dazu entschlossen, auf dem Jahrmarkt eine unlustige Runde Boxauto zu fahren.

Die Blicke, das kann man durch die Scheibe der Abteiltür sehen, interessieren sich angestrengt füreinander. Sie sitzen nämlich viel, viel näher beieinander, als es die Raumaufteilung des Zugabteils von den Reisenden verlangt. Sie sitzen nämlich auf der Lehne aufeinander, die jeden Sitz von seinem jeweiligen Nachbarsitz trennt. Und ein Blick muss dabei immer wieder herunterrutschen, weil die Armlehne für ein solches Unterfangen ein ganz klein bisschen zu schmal ist. Und ein Blick muss dabei immer wieder 'Scheisse' rufen, weil das Nervenkostüm der Armlehne für ein solches Unterfangen ein ganz klein bisschen zu dünn ist. Mit dem Herunterrutschen und Scheisse-Rufen allerdings, wechseln sich die Blicke ab.

Weil wir ja so wenig miteinander anfangen konnten, Lorna und ich, und deshalb die ganze Zeit Boxauto fahren mussten, begann ich mein Äusseres - Füsse, Hände und Haar - zu vernachlässigen. Manchmal besorgte mich der Gedanke, dass mein Hirn - Füsse, Hände und Haar - vom vielen Boxautofahren ganz und gar durcheinander geraten könnte. Bis jetzt war es nur zweimal passiert. Und immer dann hatte ich mich mit meiner Oberfläche beschäftigt, was ich hinterher allerdings - nicht nur vor Lorna, sondern auch vor mir selbst, vor der Bäckersfrau, vor dem Postboten, vor der Nachbarin, vor den Passanten auf der Strasse, vor der Frau im Reisebüro, vor der Frau im Kurzwarengeschäft, vor dem jungen Mann in der Drogerie, vor den Herren der Müllabfuhr und vor denen, die den Park in Schuss halten, vor den Bediensteten der Apotheke und vor uns, Lorna und mir, verbarg.

Weil die schwierige Situation der Blicke - unpässliches Sitzen auf der Armlehne - einfach nicht zu beheben ist, entschliessen sie sich zu einer neuen Sitzordnung. Sie thronen jetzt hintereinander auf der Armlehne, was sich einerseits als unglaublich praktisch erweist, da sich dadurch das ewige Rutschen endlich einstellt, andererseits jedoch auch ein ganz klein bisschen nervt, weil es sich in dieser Position so gar nicht recht unterhalten und Scheisse rufen lässt.

Allmählich kam der Winter und auf dem Jahrmarkt froren die Boxautos. Die Tage, an denen ich mit Lorna nichts anfangen konnte, häuften sich noch immer, weshalb wir ein kleines Problem hatten. Anfangs versuchten wir das Boxautofahren durch das Aufzugfahren in unserem Lieblingskrankenhaus im Süden der Stadt zu ersetzen. Doch Lorna blieb immer so derart ungeschickt in der Lichtschranke stehen, dass sich die Aufzugtüren einfach nicht schliessen konnten. Letztendlich sind wir niemals mit dem Aufzug irgendwohin gefahren. Und ich habe - grob gerechnet auf sechshundert Treppen - die Gleisführung meiner Eingeweide verschoben.

Der Blick der vorne sitzen und also immerzu an die Wand starren muss, klappt seinen Taschenspiegel auf um nachzusehen, was hinter ihm passiert. Der Blick, der hinten sitzen und also immerzu in die Nackenbehaarung des Vorderblicks stieren muss, hat sich entschlossen zu schlafen und schnarcht. Der Blick, der vorne sitzen muss, erschrickt und ist empört, als er das Schnarchen des Hinterblicks in seinem Taschenspiegel hört.

Irgendwann habe ich zu Lorna gesagt, dass ich an das Aufzugfahren nicht mehr glauben könne, da wir ja niemals mit dem Aufzug irgendwohin fahren würden. Das hat Lorna gekränkt. Das habe ich in den polierten Knöpfen des Aufzugs '0 bis 7' gesehen. Später, in einem anderen Aufzug, der nach oben fuhr, weil Lorna nicht dabei war, ist mir aufgefallen, dass die Knöpfe 'A bis 7' S-förmig angeordnet waren, Das hat mir damals ziemlich gut gefallen, und es gefällt mir heute noch.

Der nach hinten gerichtete Blick des vorderen Blicks verschwimmt in dessen Taschenspiegel, weshalb sich der vordere Blick dazu entschliesst, jetzt auszusteigen. Auf dem Trittbrett des gelben Zuges zögert er noch kurz und überlegt sich, ob er in dieser Geschwindigkeit den Absprung überleben werde. Er nimmt einen kräftigen Schluck aus seiner Thermoskanne, in die er morgens heissen Kaffee gefüllt hat, verbrennt sich seinen Mund und ist darüber so erschrocken und empört, dass er den Absprung gar nicht mehr mitbekommt. Später wurde er in einem Schwimmbad gesehen, seine neue Schwimmbrille testend.

Allmählich bestand kein Zweifel mehr darüber, dass der Winter jetzt kräftig Einzug hielt. Die Strassen waren so wirklich weiss, dass es in den Augen schmerzte. Und die Luft war so wirklich ohne Wärme, dass jede ihrer Berührungen auf den Augen zischte und die Boxautos auf dem Jahrmarkt einen Schnupfen bekamen. Eisblumen '0 bis 7' begannen, die Wangen der Passanten zu verschnörkeln, was wirklich, wirklich schön aussah. Sie verschnörkeln sie auch heute noch, und ich denke: Herunterkratzen kann man sie dann immer noch.