Der Zustand, in dem alles machbar erscheint          
    Für mich bestand die schwierigste Aufgabe immer darin, einen Zustand zu erreichen, in dem alles machbar schien. Meistens lässt sich in solch einem Zustand überhaupt nichts tun, und vielleicht lebt er ja gerade daraus. Wenn ich mich in solch einem Zustand befinde, dann liege ich immer auf dem Boden, unfähig den Dingen, die mir durch den Kopf gehen, eine Gestalt zu geben. Ich habe mich manchmal gefragt, ob das wohl schlimm sei. Die Antwort habe ich am folgenden Tag erhalten, wenn der Zustand verflogen war und mir wieder nur eine begrenzte Anzahl von Dingen als machbar erschien. Denn dann war wieder alles grau. Und ich ärgerte mich, dass ich nichts von den Dingen festgehalten hatte, die mir auf dem Boden durch den Kopf gegangen waren. Im Zustand, in dem alles machbar erscheint, kann man nicht ans Telephon gehen. Schande dem, der ausgerechnet dann anruft. Am Tag danach geht man wieder ans Telephon, und man geht einkaufen. Denn man muss Vorräte besorgen, für den Fall, dass der Zustand, in dem alles machbar erscheint, länger anhält. Denn in solch einem Zustand kann man natürlich nicht einkaufen gehen.

Man kann gerade noch Musik hören. Und sich dabei die vielen Dinge überlegen, die jetzt alle machbar wären. Meistens klingelt genau dann das Telephon. Man wird vermisst, wenn man das Gespräch nicht beantwortet. Das Telephongespräch, das nur dann von Sehnsucht spricht, wenn man es nicht beantwortet, kommt meistens im Zustand, in dem alles machbar erscheint, und man deshalb seine Zeit nicht ausgerechnet am Telephon verbringen möchte. Gesetzten Falles, man ginge doch ans Telephon: was würde dann passieren? Das ist eine Frage, die ich an all diejenigen stelle, die damit Erfahrung gemacht haben. Sie sollen es mir unbedingt mitteilen.

Ich habe mir vor ein paar Wochen einen Anrufbeantworter gekauft, für den Fall, dass mich jemand vermisst, während ich mich in jenem Zustand, in dem alles machbar erscheint, befinde. Es war ein billiger Anrufbeantworter. Er nimmt vor allem die Anrufe entgegen, die kommen, wenn ich ausser Haus bin. Ich bin ganz selten ausser Haus. Aber seit ich im Besitz meines Anrufbeantworters bin, kann ich ein Ausser-Haus-Sein imitieren. Ich erfinde lauter tolle Sachen, die ich gemacht habe, als ich ausser Haus war. Ich erfinde sie am liebsten, wenn ich in dem Zustand, in dem alles machbar erscheint, am Boden liege.

Es ist lustig, wenn man die Menschen hört, wie sie auf den billigen Anrufbeantworter sprechen. Das klingt meistens ziemlich dämlich. Ungefähr so wie die Ansagen darauf. Man hört seinen Namen. Ich höre mir die Gespräche, die mein Anrufbeantworter entgegennimmt, meistens mehrmals an. Ich höre so selten meinen Namen.
Im Zustand, in dem alles machbar erscheint, muss ich sehr oft lachen. Ich lache über meinen Namen und über die Vielfalt, die Variationen, in denen er von den Menschen, die auf meinen Anrufbeantworter sprechen, gebraucht wird. Ich erkenne an der Variante meines Namens, wer mich anruft. Heute ist keiner von den Namen zu Hause. Schade für den, der anruft. Aber warum muss er auch gerade dann anrufen, wenn keiner der Namen zu Hause ist?

Nur ich bin zu Hause. Aber nach mir wird ja in der Regel nicht verlangt. Morgen muss ich den Namen ausrichten, wer für sie angerufen hat. Nur für mich ruft niemals jemand an.

Im Zustand, in dem alles machbar erscheint, könnte ich für die einzelnen Namen sprechen, ohne dass der Anrufer diese Täuschung durchschauen würde. Aber ich kann ja in solch einem Augenblick nicht ans Telephon gehen. Das ist tragisch. Weil wenn ich es am nächsten Tag wieder kann, dann fällt mir das Sprechen für die einzelnen Namen viel schwerer.

Neulich habe ich mir überlegt, was die Menschen wohl auf den Anrufbeantworter sprechen würden, wenn ich mich, als Ansage sozusagen, darauf erschiessen würde. Aber mir ist eingefallen, dass das nicht möglich ist, weil ja niemand mehr auf die Stop-Taste drücken könnte, so die zwanzig Sekunden Ansagetext vorüber sind. Ich müsste einmal in der Gebrauchsanweisung nachlesen, was nach den zwanzig Sekunden Ansagetext passiert, wenn niemand auf die Stop-Taste drückt. Wahrscheinlich müsste man das ganze wiederholen.

Es ist pervers, in welchem Masse einem vorgeschrieben wird, was und wie man die Dinge zu tun hat. Deshalb schätze ich den Zustand, in dem einfach alles machbar erscheint, so sehr. Nichts kann dann würdevoll genug sein, es wirklich zu tun.